Vom Recht auf Natur zu den Rechten der Natur

Internationale Anerkennung der Natur als Rechtssubjekt für die Erhaltung der Biodiversität

von Almudena Abascal, Juristin und Lateinamerikareferentin bei FIAN Deutschland

Im Jahr 2008 war Ecuador das erste Land der Welt, das die Natur in seiner Verfassung als Rechtssubjekt anerkannte und damit eine politische und rechtliche Debatte anstieß, die seither weltweit geführt wird. Seitdem haben auch andere Länder bedeutende gesetzgeberische und rechtswissenschaftliche Fortschritte gemacht, die aufeinem ökozentrischen Ansatz beruhen, bei dem Mensch und Natur auf derselben Ebene stehen. Die internationale Anerkennung der Rechte der Natur kann ein wirksames Mittel sein, um die biologische Vielfalt zu erhalten und damit die Zukunft der Menschheit zu sichern.

Im Dezember 2022 trafen sich in Montreal (Kanada) die 196 Vertragsstaaten des Biodiversitätsabkommen (1993) bei der COP 15 und beschlossen den „Globalen Rahmen für Biodiversität“. Das Rahmenwerk wurdeoptimistisch begrüßt, insbesondere nach der Enttäuschung des Strategischen Plans zum Erhalt der biologischen Vielfalt 2011-2020, bei dem keines der 20 vereinbarten Ziele erreicht wurde.

Das Ziel ist klar und unstrittig: Den drastisch anhaltenden Verlust der biologischen Vielfalt zu stoppen. Der Internationalen Union zur Bewahrung der Natur (International Union for Conservation of the Nature) zufolge sind in den letzten zehn Jahren 160 Arten ausgestorben. Zusätzlich gaben Expert:innen der Vereinten Nationen 2019 bekannt, dass eine Million von schätzungsweise acht Millionen Arten vom Aussterben bedroht sind, von denen viele innerhalb weniger Jahrzehnte aussterben könnten. Die Hauptursachen für die beschleunigte Zerstörung der biologischen Vielfalt, wie etwa Abholzung, Klimawandel und Umweltverschmutzung, sind menschlichen Ursprungs und durch die intensive industrielle Landwirtschaft, die Ausbeutung von Land und natürlichen Ressourcen, ein verschärftes Konsumverhalten und die derzeitigen Ernährungssysteme geprägt. So sind heute 75% der Lebensräume an Landdurchmenschliche Eingriffe stark verändert, 66% der Meeresräume leiden unter verschiedenen schädlichen Einflüssen und über 85% der Feuchtgebiete sind in den letzten 300 Jahren verschwunden.i

Schutz der Natur durch Menschenrechte

Der Schutz der Natur kann nicht von der Achtung der Menschenrechte getrennt betrachtet werden. Die Schaffung der UN Sondermandate für Umwelt 2012 und für Klimaw andel und Menschenrechte 2021, die Anerkennung des Menschenrechts auf eine gesunde Umwelt 2022 sowie das Inkrafttreten des Escazú-Abkommens 2021, des ersten Umweltvertrags in Lateinamerika und der Karibikzum Schutz des Rechts auf eine gesunde Umwelt, sind ein klarer Beweis dafür.

Kurz nach der COP 15 haben drei UN Sonderberichterstatter in einer gemeinsamen Erklärung die Vertragsstaaten des Biodiversitätsabkommens aufgefordert, dafür zu sorgen, dass Maßnahmen zum Schutz der biologischen Vielfalt nicht auf Kosten der Menschenrechte gehen. Nach den Worten der Experten: „Eine gesunde biologische Vielfalt und gesunde Ökosysteme sind die Grundlage des Lebens und die Basis für die Wahrnehmung der Menschenrechte, einschließlich de r Rechte auf Leben, Gesundheit, Nahrung, Wasser, Kultur und eine gesunde Umwelt“.ii Besondere Aufmerksamkeit sollte

den kollektiven Rechten der Indigenen Völker und der Kleinbäuer:innen gewidmet werden. Indigenes Land macht etwa 20 % des Territoriums der Erde aus und beherbergt 80 % der verbleibenden biologischen Vielfalt des Planeten. Die Missachtung der territorialen Rechte Indigener Völker, wie sie in dem Übereinkommen über Indigene Völker der International Labour Organisation (ILOKonvention 196) anerkannt werden, führt zum Verlust von Lebensräumen.

Vom Recht auf Natur zu den Rechten der Natur

Einige Staaten haben sich von einem anthropozentrischen Konzept, wonach die Beziehung zwischen Mensch und Natur auf der Beherrschung und Kontrolle der Natur durch den Menschen beruht, zu einem Ökozentrismus bewegt, der den Menschen als Teil der Natur und nicht als über ihr stehend anerkennt. Im Jahr 2008 verankerte Ecuador als erstes Land der Welt die Rechte der Natur in seiner Verfassung (Art. 71). Damit ist der Zugang zur nationalen Gerichtsbarkeit gewährleistet, was Einzelpersonen, Gruppen und Gemeinschaften ermöglicht, Verletzungen der Natur in ihrem Namen anzuklagen. In Bolivien wurden das Gesetz über die Rechte der Mutter Erde (2010) und das Rahmengesetz über die Mutter Erde und die integrale Entwicklung für ein gutes Leben (2012) verabschiedet, mit denen die Natur formell als Rechtssubjekt anerkannt wird. Das kolumbianische Verfassungsgericht erkannte 2016 den Atrato-Fluss als rechtlich schützenswert an und folgte dabei einem ökozentrischen Ansatz, demzufolge die Erde nicht das Eigentum des Menschen ist, sondernim Gegensatz dazu der Mensch wie jede andere Spezies zur Erde gehört. Diese rechtliche Wandlung hat sich in Staaten vollzogen, deren Rechts – und Sozialsysteme die gegenseitige Beziehung zwischen Mensch, Tier und Natur anerkennen, was oftmals damit in Zusammenhang steht, dass in ihnen Indigene Völker leben. In den oben genannten Fällen in Lateinamerika, aber auch in Neuseeland und Indien sind die Rechte der Natur durch das Rechtswesen anerkannt worden. iii Leider wurden die Fortschritte in Ecuador und Bolivien durch Gesetzgebung und politische Entscheidungen konterkariert, die die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen fördern und damit im Widerspruch zu den proklamierten Rechten der Natur stehen.

In der Europäischen Union (EU) wurde der Übergang vom Recht auf Natur zu den Rechten der Natur noch nicht vollzogen, obwohl die EU eine der strengsten gesetzlichen Regelungen im Bereich des Umweltschutzes hat. Angesichts des besorgniserregenden Zustands der biologischen Vielfalt in Europa, wo sich nach Angaben des EU-Parlaments nur 5 % der Waldlebensräume in einem günstigen Erhaltungszustand befinden, ist es nicht klar, ob dieser anthropozentrische Rechtsrahmen der geeignetste ist. Die Grundkonzeption der Natur „als Eigentum, als Ware, die Dienstleistungen erbringt, was ihre Ausbeutung zu wirtschaftlichen Zwecken legitimiert“iv sollte zugunsten einer „Anerkennung des Eigenwerts der Natur überwunden werden, unabhängig von ihrer Nützlichkeit für den Menschen“v.

Die Debatte weitet sich aus

Diese rechtlichen und legislativen Entwicklungen im nationalen und regionalen Kontext haben die Debatte auf internationaler Ebene eröffnet. Aktuell werden Diskussionen über eine Allgemeine Erklärung der Rechte von Mutter Erde als Ergänzung zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und über die Schaffung eines Internationalen Gerichtshofs für Umweltgerechtigkeit geführt. Die politische Bühne, die weitgehend von der Zivilgesellschaft getragen wird, ist bereitet. Die Schwierigkeiten im technisch-juristischen Bereich sollten mit Bereitschaft und Aufgeschlossenheit überwunden werden können, indem man sich von westlichen Rechtstheorien löst und sich denen des globalen Südens annähert. Um die biologische Vielfalt wirksam zu schützen und damit auch das Überleben des Menschen in der Natur zu sichern, ist die Anerkennung der Rechte der Natur und damit der Natur als Rechtssubjekt erforderlich. Hierzu ist ein tiefgreifender Wandel unserer Wirtschaftsordnung, Entwicklungsmodelle, Bildungswesen, Konsummuster und Ernährungssysteme notwendig, insbesondere inden Ländern des globalen Nordens. Dabei sollten die Menschenrechteund

die Rechte der Natur Vorrang vor wirtschaftlichen und unternehmerischen Interessen haben. Wie der UN Sonderberichterstatter David R. Boyd feststellt, “die Rechte der Natur stehen im Widerspruch zu unbegrenztem Wirtschaftswachstum, Konsumismus, ungebremster Globalisierung oder dem Laissez- faire Kapitalismus”. vi

Almudena Abascal ist Juristin und Lateinamerikareferentin bei FIANDeutschland

Quellen:

i IPBES Bericht, 2020. Das globale Assessment der Biologischen Vielfalt und Ökosystem -Leistungen

ii  https://www.ohchr.org/en/press-releases/2022/12/post-2020-global-biodiversity-framework-urgent-need- protect-nature-and-human

iii http://www.legislation.govt.nz/act/public/2017/0007/latest/whole.html und https://www.nonhumanrights.org/content/uploads/WPPIL-126-14.pdf

iv Borràs Petinant, Susana (2020), “Los derechos de la naturaleza en Europa: Hacia nuevos planteamientos

transformadores de la protección ambiental”

v Boyd, David Richard (2020) “The rights of the Nature. A legal Revolution that could save the world” https://co.boell.org/sites/default/files/2021-04/Derechos%20de%20la%20naturaleza%20Web.pdf

Helmut Scheel

Kreislaufwirtschaft bedingt Rechte der Natur

von Helmut Scheel

Kreislaufwirtschaft bedingt Rechte der Natur

Das Thema Kreislaufwirtschaft nimmt in den letzten Jahren an Bedeutung zu. Recycling und Reparatur sind nur weitere Schlagworte in diesem Themenfeld. Historisch ist das alles nichts Neues. Bereits im alten Ägypten wurden behauene Steine von verlassenen Tempeln oder Gebäuden in neu zu errichtende wieder integriert. Der Grund: Steine neu aus Steinbrüchen zu brechen, zu transportieren und zuzuhauen war viel aufwendiger als bereits Gebrauchsfertige wiederzuverwenden. Dieses Verfahren und ähnliches zog und zieht sich dem Prinzip nach durch alle Kulturen bis zu jenem Zeitpunkt als die Neuanschaffung billiger wurde als die Aufbereitung von Bestehendem und Existierendem. In meiner Jugend war es noch üblich, dass meine Mutter Strümpfe, Hosen, Mäntel usw. stopfte und flickte, weil man sich eine Neuanschaffung nicht leisten konnte.

Die Reparatur eines Werkzeuges oder Elektrogerätes war Standard.

Jedes Fachgeschäft nahm Produkte, welche man bei ihnen gekauft hatte oder welche man bei ihnen hätte kaufen können, wie selbstverständlich für Reparaturaufträge an. Im Laufe der 70er und 80er Jahre änderte sich dies, weil die Produktion von Gütern, bedingt durch verschiedene Umstände, billiger wurde wie die Reparatur oder Umarbeitung. Einige dieser Gründe waren steigende Löhne. Diese wirkten sich gleich doppelt negativ auf Reparaturen aus. Zum einen stiegen die Kosten für die Wiederherstellung und zum zweiten konnten sich die Menschen mehr leisten.

Neues gewann an gesellschaftlicher Achtung.

Neu galt als besser, wie etwas Repariertes. Ein zweites war die zunehmende Berufstätigkeit der Frauen. Dadurch stiegen die Familieneinkommen und man konnte sich noch mehr leisten. Drittens wurden durch die Automatisierung und die Verlagerung von Arbeit in Billiglohnländer die Produkte im Verhältnis zum Einkommen immer billiger. Ein weiterer Schub zur Konsumorientierung und daraus folgernd der Wegwerfgesellschaft. Die Produktzyklen wurden immer kürzer, damit man mehr verkaufen konnte. Immer das Neueste zu besitzen und zu präsentieren, zeugte von dem persönlichen gesellschaftlichen Status. Der American Way of Life – vom Tellerwäscher zum Millionär – wurde auch in Deutschland zu einem Lebensmotto.

Wirtschaftswachstum in BIP wurde zum Staatsziel Nummer eins

Man wollte bei den Gewinnern der Gesellschaft sein und nicht bei den Verlierern. Ein vierter und nicht zu vernachlässigender Aspekt war die Zunahme von Krediten. Damit wurden viele Anschaffungen möglich, für den sogenannten kleinen Mann, welche er sich sonst nur mit Ansparen nicht geleistet hätte. Getrieben von einem gewissen gesellschaftlichen Druck, dem Dazugehören, schaffte man sich immer schneller und häufiger ein neues Auto, einen Fernseher, neue Waschmaschinen und andere Haushaltsgeräte an. Die Werbung in den unterschiedlichen Medien befeuerte diese Entwicklung und kann als Punkt 5 angesehen werden. Als Sechstes gilt unser politisches System und das Gesetz aus dem Jahre 1967, welches sich „Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft“. Darin wird der Zwang des ständigen Wirtschaftswachstums staatlich festgeschrieben. Doch nicht nur das allein, sondern Wirtschaftswachstum wird im Prinzip zum Staatsziel Nummer eins erhoben.

Das BIP belohnt die Zerstörung

Als Gradmesser des Wirtschaftswachstums gilt das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Dieses beinhaltet alle in Deutschland produzierten Güter und erbrachten Dienstleistungen, welche mit Geld bezahlt werden. Die Geldmenge, welche aufgrund dieser erbrachten Leistungen definiert die Höhe des BIP. Der Begriff und die Bedeutung des Bruttoinlandsprodukts gehen auf John Maynard Keynes und das Jahr 1940 zurück. Es sollte die Volkswirtschaften vergleichbar machen und damit die Staaten in einen wirtschaftlichen Wettbewerb führen. Was bedeutet dies nun für die Wirkung auf unser Thema? Ein System, bei welchem nur der Geldfluss zählt, missachtet die Bedeutung von non-monetären Leistungen. Der Wert der Ehrenämter wird eliminiert, obwohl diese eine hohe gesellschaftliche Relevanz besitzen und ohne die unsere Gesellschaft nicht so gut funktionieren würde.

Das BIP ignoriert nicht-monetären Tätigkeiten die für unseren Wohlstand so wichtig sind

Erziehungsarbeit der Eltern, Pflegearbeit an Angehörigen, Nachbarschaftshilfe und vieles andere fließen nicht in das BIP ein. Daraus ergibt sich ein Problem für unsere Gesellschaft: Die immer größer werdenden Probleme, Menschen für derartige Tätigkeiten zu gewinnen. Immer mehr Vereine werden aufgelöst, weil sich niemand mehr ehrenamtlich engagieren will, weil die gesellschaftliche Achtung dieses Engagements sinkt, weil Achtung immer mehr mit Verdienst in Bezug gebracht wird. Das System des BIP wird sogar noch pervertiert. Unfälle, Krankheit und Katastrophen fließen positiv in das Bruttoinlandsprodukt ein, weil dadurch wieder Geld in Fluss kommt, und dieses wird ja im BIP gemessen. Die Katastrophe im Ahrtal als Beispiel fließt mit einem Volumen von über 30 Mrd. Euro in den nächsten Jahren ein, weil das Zerstörte wieder aufgebaut wird. Ist Zerstörung wirklich als positiv zu werten? Diese Frage dürfte uns alle wohl nur zu einer Antwort führen: Nein.

Was wäre aber, wenn unser gesamtes Wirtschaftssystem von Zerstörung lebt oder zumindest hauptsächlich von ihr?

Betrachten wir diese Hypothese. Nachdem immer neue Produkte in immer schnelleren Zyklen produziert werden, braucht es immer mehr Ressourcen, damit diese produziert werden können. In der Landwirtschaft werden die Böden immer mehr ausgelaugt, weil die Sorten immer mehr an Nährstoffen benötigen, um den gewünschten Ertrag zu erbringen. Wir Menschen haben dafür eine Lösung gefunden, die war früher normale organische Düngung und heute ist es Kunstdünger, welcher mit viel Energieaufwand hergestellt wird. Die Böden werden mehr und mehr ausgelaugt und der Bedarf an Kunstdünger steigt. Ein Teufelskreis der Bodenzerstörung. Auf einem Hektar dieserart bewirtschafteter Fläche gehen jährlich ca. 20 Tonnen Ackerboden verloren. Das bedeutet konkret Zerstörung von wertvollem Boden, um daraus Profit zu erzeugen und das BIP zu steigern.

Die Erzeugung oder Produktion von Nahrungsmittel auf Böden ist das eine, aber es wird auch z.B. Baumwolle angebaut. Die Textilindustrie braucht aber immer mehr von diesem natürlichen Produkt. Gab es früher zwei Kollektionen einer Marke, sprich Sommer und Winter, wurden irgendwann die Frühjahrs- und Herbstkollektionen mit eingeführt und heute wechseln diese Kollektionen im Monats- oder Zweimonatsrhythmus. Wurde früher Kleidung so lange getragen, bis sie irreparabel waren, so werden manche Kleidungsstücke, wie das Ein-Euro-Shirt, nur noch einmal getragen und dann weggeworfen. Der Ressourcenverbrauch ist jedoch unabhängig von der Häufigkeit des Tragens, sondern hängt stark von der Produktionsmenge und der Art der Herstellung ab. Auch in anderen Bereichen haben sich die Zyklen von neuen oder überarbeiteten Produkten deutlich erhöht.

Dies alles ist der Steigerung des BIP mit geschuldet und der darauf aufbauenden Sichtweise von Wohlstand.

Je mehr aber produziert wird, umso mehr wird aber auch zerstört. Alle unsere Ressourcen sind letztlich Rohstoffe aus der Natur. Jedes Erz, jedes Mineral, alle fossile Energieträger sind auf natürliche Weise entstanden. Jede Förderung und Entnahme ist eine Störung und Zerstörung dieser natürlichen Struktur. Die Verlagerung von Stoffen und deren Umwandlung in andere Stoffe und Produkte führt zu einem asymmetrischen Verhältnis gegenüber dem natürlichen Zustand. Dieses ist systemimmanent. Daraus ergibt sich die Logik, dass wir die Zerstörung der Natur brauchen, um unser Wirtschaftssystem am Laufen zu halten. Wir opfern die Natur und verbrauchen sie, damit wir einem Glauben hinterherlaufen, welcher sich als falsch erwiesen hat.

Warum hat sich dieses Wirtschaftssystem als falsch erwiesen?

Warum hat sich dieses Wirtschaftssystem als falsch erwiesen? Wir sehen seit 50 Jahren die Entwicklung vorher, wie wir unseren Planeten und damit unsere Lebensgrundlage zerstören. In diesem Zeitraum hat sich alles noch mehr verschlimmert, obwohl eine gegenläufige Erkenntnis vorhanden ist. Erkenntnis allein bringt also nichts. Der Mensch und sein Gehirn sind auf Faulheit programmiert.

Appelle reichen nicht

Unser Gehirn verbraucht im Ruhezustand bereits ca. 20 % bis 25 % unserer Energie und das, obwohl es vom Gewicht nur wenige Prozent unsere Körpermaße ausmacht. Am wenigsten Energie benötigt es, wenn es Routinen oder gewohntes verarbeitet. Jede Veränderung erhöht den Energiebedarf des Gehirns. Da es sich aber für das Energiesparen angelegt ist, versucht es jede Veränderung zu vermeiden und motiviert uns als Person Veränderungen zu meiden. Es gibt eine Ausnahme: Wenn die Veränderung dauerhaft einen noch geringeren Energiebedarf verspricht oder das Belohnungssystem aktiviert wird. Da das bisherige Wirtschaftssystem uns immer bequemer werden ließ, ist an dieser Stelle gesellschaftlich ein Umdenken auf Basis von Erkenntnis fast unmöglich. Das ist aus meiner Sicht der Grund, warum all die Appelle nicht fruchten.

Gibt es noch eine andere Möglichkeit?

Erst wenn jeder selbst die negativen, und das meint persönlich negative, Auswirkungen spürt und damit sein Leben unbequemer wird, wird er oder sie konkret beginnen über Veränderungen nachzudenken. Jetzt stellt sich die Frage, ob es in einem freiheitlichen, demokratischen System wie dem unseren noch eine andere Möglichkeit gäbe.

Die Antwort ist ein klares Ja.

So wie der Staat 1967 ein Gesetz erlassen hat, in welchem wirtschaftliches Wachstum als Staatsziel definiert ist, so kann der Staat Gesetze erlassen, welche die Lebensgrundlagen der Menschen schützt. Die Ausformulierung von vielen einzelnen Gesetzen würden von einer Vielzahl der Menschen als Verbotskultur bezeichnet werden. Wenn das Fällen von Bäumen verboten würde, der Bau von Straßen, der Neubau von Häusern auf der grünen Wiese, Verbot von Kunstdüngern und vieles andere mehr. Dies würde zwar alles dem Schutz der Natur und damit unserer Lebensgrundlagen dienen, würde aber unserem freiheitlichen Demokratieverständnis widersprechen.

Die Natur mit Rechten ausstatten

Wir müssen unsere Lebensgrundlage, sprich die Natur, mit gleichen Rechten ausstatten, wie wir sie den Firmen zugestehen, die diese Grundlagen zerstören. Derzeit gelten Firmen als juristische Person, nicht jedoch die Natur und die Tiere. Diese Benachteiligung hat massive Auswirkungen. Firmen und Personen können meist erst nach negativen Eingriffen in die Natur zur Verantwortung gezogen werden. Sprich erst, nachdem etwas zerstört wurde, kann seitens von Verbänden gegen die Zerstörung etwas unternommen werden. Mittlerweile hat sich an der Stelle zwar schon manches verbessert, da Verbände bereits bei manchen Planungen gehört werden müssen und Klagerecht haben, jedoch trotzdem dem Ganzen immer hinterherlaufen. Würde die Natur einen Status vergleichbar einer juristischen Person wie einer Firma erhalten, könnte sie, vertreten durch Verbände oder gar Privatpersonen, selbst klagen.

Hinzu käme ein Recht auf Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes.

Dieses Recht hätte die größten Auswirkungen auf unser Wirtschaftssystem und würde dem Natur- und Klimaschutz am meisten dienen. Es würde das derzeitige Wirtschaftssystem vom Kopf auf die Füße stellen. Jeder Eingriff in die Natur könnte als Verletzung der Natur angeklagt werden. Die Natur könnte die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes einklagen. Damit müsste bei jedem Eingriff in die Natur der Rückbau und die Wiederherstellung des vormaligen Zustandes eingepreist werden.

Daraus ergibt sich ein System, bei welchem die Zerstörung der Natur von Beginn an in die Bepreisung des Produktes einfließen. Bei der Gewinnung der Kohle müsste der Rückbau einer Mine und die Herstellung des vorherigen Zustandes mit einem Preis versehen werden. Dieser Preis ergibt sich durch die Kosten, welche dafür notwendig sind, und zwar zu dem Zeitpunkt, an dem das Produkt aus der Erde gewonnen wird. Dieses Geld würde auf ein Treuhandkonto der Natur einbezahlt werden. Dafür würde eine Trust Nature Bank gegründet werden, welche dieses Geld verwaltet und an jene entsprechend einem Wiederherstellungsindex ausbezahlt.

Das Ganze hätte einen weiteren Vorteil und zwar auf die negative Wirkung unseres Finanzsystems.

Durch die direkte Einzahlung auf das Treuhandkonto würde dem Finanzsystem Geld entzogen, welchem dem Konsum fehlen würde. Weniger Konsum bedeutet weniger Belastung für die Natur. Die gesamten Kosten wären teilweise so enorm und würden eine Ausbeutung von so mancher Lagerstätte als unrentabel erscheinen lassen. Die Produktion neuer Produkte würde sich systembedingt deutlich verteuern und die Reparatur und das Recycling hätten auf einmal wieder einen wirtschaftlichen Vorteil. 

Sprich: Wenn der Natur ein Recht auf Unversehrtheit wie dem Menschen zustünde, dann könnte sie ein Recht auf Genesung einfordern. Wenn ein Mensch durch einen anderen verletzt wird, muss der Verletzende dem Verletzten den ihm entstandenen Schaden ersetzen und dazu gehören die Kosten für die Wiederherstellung der Gesundheit. Wenn einer Firma ein Schaden zugefügt wird, kann die Firma als juristische Person den Schädigenden ebenfalls zum Ausgleich des Schadens und auf Wiedergutmachung verklagen. Genau dies würde die Einführung eines personalen Rechtsstatus der Natur in unser Grundgesetz bedeuten. Dies würde eine massive Förderung der Kreislaufwirtschaft hervorrufen. Wir kämen auch wirtschaftlich in eine neue bzw. alte Spur, welche einen Bewusstseinswandel in unser aller Köpfe hervorrufen würde. Es wäre ein juristisches Eingeständnis, dass der Mensch Teil der Natur ist und wir die Natur als Teil unseres Lebens voll und ganz akzeptieren.

Helmut Scheel 07.05.2023

Die Rechte der Natur

von Karina Czupor (Nabu Niedersachsen)

Am 22. April letzten Jahres, dem Tag der Mutter Erde, wurde von der Initiative ,,Rechte der Natur” in einer Pressekonferenz vorgeschlagen, der Natur eigene Rechte im Deutschen Grundgesetz einzuräumen. Die weltweite Bewegung für die Rechte der Natur strebt an, Eigenrechte der Natur in den jeweiligen Rechtssystemen zu verankern. In den westlichen Kulturen hat sich früh eine Entfremdung von der Natur herausgebildet. In der bis heute vorherrschenden dualistischen Sicht auf die Welt gibt es Subjekte wie uns Menschen, die Rechte besitzen und Objekte wie die Natur, die rechtlos gestellt sind.

Die uns umgebende Welt wird dabei als Ressource gesehen, die dem Menschen zusteht und ausgebeutet werden kann. Untergang ganzer Ökosysteme, Artensterben und Erderhitzung sind die Folgen.

Die Existenz des Menschen hängt wesentlich mit der Existenz der Natur zusammen.

Naturschutzverbände sind in ihrer Arbeit täglich mit den Folgen dieser Sichtweise konfrontiert . Zwar gelingt es durch großes Engagement Schutzzonen einzurichten, Ausgleichsmaßnahmen zu erreichen oder Wiederherstellung zu erwirken, aber die Aktivitäten reichen nicht aus, um Artensterben und Erderhitzung zu verhindern.

Dieses selbstzerstörerische Verhältnis zur Natur ist dem Menschsein jedoch nicht zwangsläufig innewohnend. Viele indigene Völker erkennen, dass die Existenz des Menschen untrennbar mit der Existenz der Natur verbunden ist. Der Mensch wird hier als Teil der Natur gesehen und seine Mitwelt mit Dank und Respekt behandelt.

Wissenschaftliche Erkenntnisse bestätigen die Verflochtenheit der Welt und allen Lebens.

Von der Symbiose zweier winziger Lebewesen wie einer Alge und einem Pilz bis hin zum Kreislauf des Kohlenstoffs durch Boden, Gesteine, Ozeane, Pflanzen, Tiere und Atmosphäre ist alles miteinander verbunden. Unser Rechtssystem entspricht bislang jedoch der anthropozentrischen Weltsicht und bildet weder diese Verbundenheit noch den Eigenwert der Arten auf diesem Planeten ab. Der Mensch allein ist Träger von Rechten und kann diese als ,,natürliche Person” vor Gericht geltend machen.

Auch Unternehmen, sogenannte ,,juristische Personen”, können durch ihre Vertreter eigene Ansprüche einklagen. Damit sind auch ökonomische Interessen geschützt.

Die Natur hingegen hat (noch)keine Eigenrechte.

Hier setzt die weltweite Bewegung für die Rechte der Natur an. Sie fordert,der Natur eigene Rechte zu geben und diese in der Verfassung zu verankern.Als erstes Land der WeIt nahmEcuador die Rechte der Natur in die Verfassung auf. Auf dieser Grundlage entschied das ecuadorianische Verfassungsgericht im Dezember 2021 in einem umfassenden Urteil, dass im Naturschutzgebiet Los Cedros kein Bergbau oder andere ‘ Extraktion stattfinden darf. In zahlreichen Ländern,auch in Europa, werden derzeit Anträge in die Parlamente eingebracht,mit dem Ziel, der Natur subjektive Rechte einzuräumen. In Bayern wurde das erste Volksbegehren gestartet (www.DubistdieEr.de). Die vorgeschlagene Grundgesetzänderung würde die bisherige Schieflage, zugunsten menschlicher, ökonomischer Interessen, korrigieren. Sie würde außerdem dazu führen, dass die Menschen ihre Beziehung zur Natur überdenken und neu zu verstehen versuchen. Daher stellt die Diskussion über die Rechte der Natur auch eine Chance dar, eine gefährdende Sichtweisen aufzubrechen.

Karina Czupor ist seit 2020 Mitglied im Netzwerk Rechte der Natur www.rechte-der-natur.de

Zu wessen Wohl?

Das Tierwohl-Label verdient seinen Namen nicht und fördert den Hunger in der Welt.

Christine Ax, M.A.

Das Tierwohl-Label, das von Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir für die Schweinehaltung angekündigt wurde, wird von Tierschützern und den Verbraucherschutzverbänden scharf kritisiert.

Verbraucherschützer sind enttäuscht

Die Verbraucherzentrale Bundesverband stellt fest, dass nur die Haltungsformen 3 und 4 überhaupt eine Verbesserung darstellen und dass das Angebot von Fleisch aus solchen Haltungsformen im Handel bisher immer noch „gegen Null“ gehe.

Die Haltungsform 5 (Bio) sei außerdem nicht neu und im Biolandbau spiele das Tierwohl keineswegs immer eine bedeutende Rolle – auch wenn viele Tiere dort –  je nach Anbauverband – artgerechter gehalten werden als in konventionellen Betrieben.

Albert Schweitzer Stiftung “Leid der Tiere wird kaum reduziert”

Die Albert Schweizer Stiftung für Tierschutz zeigt sich schwer enttäuscht über den Vorschlag und fordert alle Tierfreunde auf, einen Appell für mehr echten Tierschutz zu unterschreiben.

Die Stiftung kommentiert das Vorhaben wie folgt: „ Wir begrüßen deshalb, dass die Bundesregierung 2022 eine verbindliche Kennzeichnung einführen will. Das vorgestellte Fünf-Stufen-Konzept lässt jedoch auf eine mangelhafte Umsetzung schließen, die das Leid der Tiere kaum reduzieren wird.  Das Landwirtschaftsministerium orientiert sich auf Drängen der »Initiative Tierwohl«, des Lebensmitteleinzelhandels und der Agrarlobby offenbar an dem problematischen »Haltungsform«-System der großen Supermarktketten. Doch die »Haltungsform«-Kennzeichnung unterscheidet sich in der zweiten Stufe kaum vom gesetzlichen Mindeststandard (Stufe 1) und erlaubt selbst in den höchsten Stufen Qualzucht, Amputationen und besonders tierquälerische Schlachtmethoden. Klar ist: Das Label ist kein Tierschutzkennzeichen. Die Stufen »Stall« und »Stallhaltung Plus« haben außerdem nur einen geringen Aussagewert – dennoch plant die Regierung diese Bezeichnungen zu übernehmen. Transparenz sucht man hier vergeblich. Die zusätzliche Bio-Stufe blendet aus, dass der EU-Bio-Standard nur minimal mehr Tierschutz bedeutet. Das Stufen-Konzept geht vollkommen an den tatsächlichen Bedürfnissen der Tiere vorbei. So wird das Label der Bundesregierung mehr Schein als Sein.“

PETA: Tierschutz-Label ist Greenwashing und ermöglicht Qualzucht und Massentierhaltung

Auf der PETA Website ist daher zu lesen: „Wir von PETA Deutschland lehnen die Haltungskennzeichnung ab, da sie nichts am speziesistischen System der Tierausbeutung ändert. Statt den enormen Arbeitsaufwand in die Entwicklung eines vermeintlichen Tierwohllabels zu investieren, hätte die Bundesregierung die Energie in wirklichen Tierschutz einbringen müssen: Maßnahmen, um den Fleischkonsum drastisch zu verringern. Weniger leidende Tiere durch den schnellen Abbau von Tierbeständen.

Mit dem ab 2023 geplanten Tierwohllabel betreibt die Bundesregierung leider Greenwashing für Konsument:innen, um deren Gewissen zu beruhigen, statt einen realen Unterschied für Millionen von Tieren zu bewirken. Die Botschaft, einfach weiterhin so viel Fleisch zu essen wie bisher, ist aber fatal: Denn die Produktion von Fleisch, Milch und Eiern treibt die Klimakatastrophe mitsamt der Zerstörung unserer Ökosysteme und somit unserer Lebensgrundlage unaufhörlich voran.“

Lisa Kainz, Fachreferentin bei PETA Deutschland e. V. schreibt:  „Die Unterschiede zwischen den Stufen sind für die Tiere zudem so marginal, dass das Wort ‚Tierwohl‘ hier völlig fehl am Platz ist und einer Täuschung der Verbraucherinnen und Verbraucher gleichkommt. Unzählige Recherche-Veröffentlichungen nach der Einführung der Kennzeichnung von Frischeiern haben die furchtbaren Lebensbedingungen von sogenannten Legehennen in Deutschland – auch jenen aus dem Bio-Bereich – enthüllt und gezeigt, dass kein Tier von einem Label profitiert. Wer ernsthaft etwas gegen die Tierquälerei im Agrarsystem tun will, greift zu Produkten mit Vegan-Label.“

Quelle: PETA Deutschland e.V.

Landwirtschaft fordert immer noch “business as usual”

Alles in allem weist derzeit immer noch nichts darauf hin, dass die Landwirtschaft verstanden hat, in welchem Umfang sie die Klimakrise und die Biodiversitätskrise vorantreibt. Die jüngsten Versuche auch die wenigen Flächen, in denen Biodiversität heute schon Vorrang hat in die Getreideproduktion wieder mit einzubeziehen, beweisen, dass die Agrarlobby immer noch das Ziel „business as usual“  verfolgt.

Dies mit dem Verweis auf eine drohende Welternährungskrise und den Ukrainekrieg zu tun – kann man nur als zynisch bezeichnen.

Denn solange nur 20 % der Erträge, die in Deutschland erzeugt werden, überhaupt für die Ernährung von Menschen verwendet werden und die anderen 80 % in Biosprit verwandelt werden, als Futtermittel verwendet oder schlichtweg weggeworfen werden, ist ein solcher Vorschlag ein weiterer Anschlag auf die Lebenschancen künftiger Generationen.

Rechte der Natur machen einen Unterschied

Umso wichtiger ist es, dass die Eigenrechte der Natur realisiert werden und Grundrechte auch für Tiere gelten.

Dass 1,5 Quadratmeter Lebensraum in der Massentierhaltung von einem Schwein als wohltuend empfunden wird, ist ausgeschlossen. Massentierhaltung ist ein unethischer Machtmissbrauch des Menschen über diese intelligenten und empfindsamen Mit-Lebewesen, die unser ganzes Mitgefühl verdient haben.

Das Tierwohl-Label dient vor allem dem Wohl der Tierzucht-Industrie, der industriellen Landwirtschaft und des Handels und es verdient seinen Namen nicht.  Da es die klimazerstörende Massentierhaltung legitimiert ist es nicht nur eine Art staatlich befördertes Greenwashing sondern außerdem auch noch weit schlimmer als das: Diese Art von Fleischproduktion ist auch ein Todesurteil für eine wachsende Zahl von hungernden Menschen weltweit. Fleischproduktion tötet.

Mit dem Irdischen paktieren

Nichtmenschliche Personen als Rechtssubjekte.
Eine kurze Einordnung der Biopolitik des Abendlandes

Dr. Andreas Weber

Nichtmenschliche Lebewesen haben in der abendländischen Auffassung den Status von Dingen. Dieser Rang all dessen, was kein Mensch ist, zieht sich durch alle relevanten Bereiche der westlichen Kultur, die heute als globale Industrie- und Informationsgesellschaft den Planeten dominiert.

Philosophisch wird eine solche Haltung als Dualismus bezeichnet: Sie behauptet, dass es zwei verschiedene Grundsubstanzen der Wirklichkeit gebe. Nämlich zum einen den Stoff, der sich zwar zu Objekten, auch sehr komplexen, formen kann, aber der doch immer Ding bleibt. Ein solches Ding hat kein Interesse an sich selbst und keine Freiheit, sich zu entscheiden. Es ist vollkommen passiv und wertfrei und kann benutzt werden.

Auf der anderen Seite des Dualismus steht das Humane. Die Beschreibung dieser Dimension hat sich im Laufe der abendländischen Geschichte immer wieder geändert, bezeichnete aber doch immer einen klar umrissenen Bereich: Die Fähigkeit, über die Dinge herrschen zu können. Zu dieser Fähigkeit gehört der freie Wille, der über Objekte disponiert, die innere Erfahrung, die den Dingen eine Bedeutung gibt, die sie von sich aus vorgeblich nicht haben, und die Abstraktion: die Erkenntnis der verborgenen Zusammenhänge zwischen den Dingen, durch die sie sich beherrschen lassen.

Im Dualismus gibt es somit zwei Seiten: Eine passive, ohnmächtige, die auch ohne Willen ist, und eine aktive, wollende, die im Recht steht, die Macht über die andere Seite auszuüben.

Dass ich den Dualismus als Machtgefälle definiere, ist nicht die klassische Auffassung. Diese stellt der unbewussten Materie den bewussten Geist gegenüber und teilt die Welt somit in zwei entsprechende, aber anders benannte Bereiche auf: Die Gegenstände und das Mentale. Diese Differenzierung traf René Descartes in bis heute nachwirkender Schärfe (res extensa steht gegen res cognitans).

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Freiheit und Natur

Ohne Rechte der Natur bleibt Freiheit Illusion

Prof. Dr. Klaus Bosselmann
Prof. Dr. Klaus Bosselmann

Ökologiebindung von Freiheit und Eigentum

Verantwortlichkeiten gegenüber der Natur kennt das klassisch liberale Freiheitsverständnis dagegen nicht. Was zu Zeiten Kants und Hegels noch hinnehmbar gewesen sein mag, erscheint im Zeitalter der ökologischen Krise als ein gefährlicher Anachronismus. Wir wissen heute, wie sehr unsere menschliche Existenz von der Erhaltung ökologischer Systeme abhängt und damit verknüpft individuelles Leben, Gesundheit, Freiheit und Eigentum. Diese Erkenntnis ist aber noch nicht in das gängige Verständnis der Grundrechte eingedrungen. Was fehlt, ist eine Ökologiebindung von Freiheit und Eigentum in Erweiterung ihrer Sozialbindung. Der Schritt zum sozial-ökologischen Rechtsstaat also.

Natur ist conditio sine qua non menschlicher Freiheit

Mit unseren bisherigen Gesetzen ist es nicht getan. Soweit sie sich auf ökologische Systeme beziehen, bezwecken sie allein Umweltschutz zur Sicherung menschlicher Nutzungsinteressen. Ein Existenzrecht der Natur wird geleugnet, das Recht zum Beispiel, einfach in Ruhe gelassen zu werden. Natur bleibt das Andere und somit von grundrechtlich geforderter Mitverantwortlichkeit ausgeschlossen. Eine solche Mitverantwortlichkeit lässt sich nicht einfach damit begründen, daß wir die Natur „brauchen“. Natur ist Leben in all seinen Formen und ökologischen Zusammenhängen und damit conditio sine qua non menschlicher Freiheit. Ihre Nutzung lässt sich zwar ebenso als Ausdruck von Freiheit deuten und selbst ihre Ausbeutung noch als Begleiterscheinung von Freiheitsausübung. Die Freiheit selbst verschwindet aber, wenn Naturausbeutung zur Naturzerstörung und somit zur Selbstvernichtung wird. Diese Gefahr besteht heute weltweit und vor allem für arme, junge und noch nicht geborene Menschen.

Das Klimaschutzurteil des Bundesverfassungsgerichtes ist zukunftsweisend

Mit dieser Gefahr hat sich das Bundeverfassungsgericht vor Kurzem in seiner Entscheidung  zum Klimaschutz auseinandergesetzt (Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 u.a.). Das Urteil weist in die Richtung einer Ökologiegebundenheit der Freiheitsrechte – wenn auch nur indirekt. Die Pflicht zur Verschärfung des Bundes-Klimaschutzgesetzes begründete das Gericht mit dem Hinweis darauf, dass die sonst zu erwartenden zusätzlichen Reduktionslasten (nach 2030) für zukünftige Generationen umfassende Freiheitseinbußen zur Folge hätten. Entscheidend ist also das Zeitelement: je weiter der Klimawandel voranschreitet, desto tiefgreifender die Folgen für die Ausübung von Freiheitsrechten. Um dieser Entwicklung entgegenzutreten, ist nach der Aussage des BVerfG effektiver Klimaschutz als Voraussetzung für die Sicherung von Freiheitsrechten zu verstehen.

Recht auf ökologisch nachhaltige Nutzung – statt Recht auf Naturausbeutung

Diese zeigt Weitsicht auf – und wird dennoch der ökologischen Realität nicht gerecht. Wir sind nicht einfach von der Natur abhängig, sondern in ihre ökologischen Kreisläufe völlig eingebunden. Was wir ihnen antun, kommt unweigerlich auf uns zurück. Es macht daher Sinn, die Natur als Grundbedingung unserer Existenz und Prosperität zu begreifen und somit auch als Grundlage kollektiver und individueller Freiheitsrechte. Genauso wie individuelle Freiheitsausübung nur im Rahmen der gleichen Rechte der Mitmenschen möglich ist, kann sie sich nur im Rahmen der Rechte der natürlichen Mitwelt vollziehen. Die Anerkennung der Rechtssubjektivität der natürlichen Mitwelt ist somit Ausdruck eines Freiheitsbegriffes der die objektive bestehende ökologische Eingebundenheit des Menschen reflektiert. Rechtspraktisch bedeutet dies, daß es fortan kein Recht auf Naturausbeutung mehr gibt, sondern lediglich ein Recht auf ökologisch nachhaltige Nutzung. 

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