Prof. Dr. Klaus Bosselmann

Staaten haben sich zu lange auf minimale pragmatische Maßnahmen beschränkt

Prof. Dr. Klaus Bosselmann

Neuseeland hat als erster Mitgliedsstaat der OECD die Rechte der Natur anerkannt, wenn auch nur mit Bezug auf einzelne Landschaftsteile und Flüsse. Die Grundidee ist, der Natur Stimme und Gewicht zu geben und zwar nach ihren Eigengesetzlichkeiten. Ökosysteme z.B. dürfen nicht nach ihrer Nützlichkeit und Funktion für den Menschen bewertet werden, sondern nach der Wahrung und Wiederherstellung ihrer Integrität. Die Integrität von Ökosystemen, von denen der Mensch selbstverständlich ein Teil ist, ist ein nicht-anthropozentrisches Prinzip. Und dies ist der entscheidende Gedanke der mit der Anerkennung von Rechten der Natur verbunden ist. Die Regierung Neuseelands ist übrigens gerade dabei, das Umweltgesetzbuch zu reformieren und mit einer neuen Zweckbestimmung sicherzustellen, daß die Integrität von Ökosystem geschützt und, soweit erforderlich, wiederhergestellt wird.

Wenn die Erhaltung und Wiederherstellung der Integrität ökologischer Systeme zum obersten Ziel von Staat, Politik und Recht gemacht wird, dann entwickelt sich der Rechtsstaat zu einem ökologischen Rechtsstaat. Dies ist aus meiner Sicht das Kernanliegen der Verfassungsinitiative des Netzwerkes.

Auf internationaler Ebene gibt es nicht nur die Beispiele Neuseelands, Ecuadors und anderer Länder, sondern wichtige Entwicklungen im Umweltvölkerrecht. In nicht weniger als 27 internationalen Umweltabkommen sind Regeln enthalten, die die Staaten zur Kooperation verpflichten, damit (ich zitiere) „die Gesundheit und Integrität der ökologischen Systeme der Erde erhalten werden“. Auch hier also eine Formulierung, die eine nicht-anthropozentrische Betrachtungsweise und Bewertung verlangt. Sie bemisst sich nach streng ökologischen Kriterien etwa Selbstorganisationsfähigkeit, Funktionalität, Übereinstimmung abiotischer und biotischer Eigenschaften mit natürlichen Standortfaktoren u.s.w. und somit nicht danach, was Menschen und Gesellschaft unmittelbar nützt und wirtschaftlich vertretbar ist.

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Freiheit und Natur

Ohne Rechte der Natur bleibt Freiheit Illusion

Prof. Dr. Klaus Bosselmann
Prof. Dr. Klaus Bosselmann

Ökologiebindung von Freiheit und Eigentum

Verantwortlichkeiten gegenüber der Natur kennt das klassisch liberale Freiheitsverständnis dagegen nicht. Was zu Zeiten Kants und Hegels noch hinnehmbar gewesen sein mag, erscheint im Zeitalter der ökologischen Krise als ein gefährlicher Anachronismus. Wir wissen heute, wie sehr unsere menschliche Existenz von der Erhaltung ökologischer Systeme abhängt und damit verknüpft individuelles Leben, Gesundheit, Freiheit und Eigentum. Diese Erkenntnis ist aber noch nicht in das gängige Verständnis der Grundrechte eingedrungen. Was fehlt, ist eine Ökologiebindung von Freiheit und Eigentum in Erweiterung ihrer Sozialbindung. Der Schritt zum sozial-ökologischen Rechtsstaat also.

Natur ist conditio sine qua non menschlicher Freiheit

Mit unseren bisherigen Gesetzen ist es nicht getan. Soweit sie sich auf ökologische Systeme beziehen, bezwecken sie allein Umweltschutz zur Sicherung menschlicher Nutzungsinteressen. Ein Existenzrecht der Natur wird geleugnet, das Recht zum Beispiel, einfach in Ruhe gelassen zu werden. Natur bleibt das Andere und somit von grundrechtlich geforderter Mitverantwortlichkeit ausgeschlossen. Eine solche Mitverantwortlichkeit lässt sich nicht einfach damit begründen, daß wir die Natur „brauchen“. Natur ist Leben in all seinen Formen und ökologischen Zusammenhängen und damit conditio sine qua non menschlicher Freiheit. Ihre Nutzung lässt sich zwar ebenso als Ausdruck von Freiheit deuten und selbst ihre Ausbeutung noch als Begleiterscheinung von Freiheitsausübung. Die Freiheit selbst verschwindet aber, wenn Naturausbeutung zur Naturzerstörung und somit zur Selbstvernichtung wird. Diese Gefahr besteht heute weltweit und vor allem für arme, junge und noch nicht geborene Menschen.

Das Klimaschutzurteil des Bundesverfassungsgerichtes ist zukunftsweisend

Mit dieser Gefahr hat sich das Bundeverfassungsgericht vor Kurzem in seiner Entscheidung  zum Klimaschutz auseinandergesetzt (Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 u.a.). Das Urteil weist in die Richtung einer Ökologiegebundenheit der Freiheitsrechte – wenn auch nur indirekt. Die Pflicht zur Verschärfung des Bundes-Klimaschutzgesetzes begründete das Gericht mit dem Hinweis darauf, dass die sonst zu erwartenden zusätzlichen Reduktionslasten (nach 2030) für zukünftige Generationen umfassende Freiheitseinbußen zur Folge hätten. Entscheidend ist also das Zeitelement: je weiter der Klimawandel voranschreitet, desto tiefgreifender die Folgen für die Ausübung von Freiheitsrechten. Um dieser Entwicklung entgegenzutreten, ist nach der Aussage des BVerfG effektiver Klimaschutz als Voraussetzung für die Sicherung von Freiheitsrechten zu verstehen.

Recht auf ökologisch nachhaltige Nutzung – statt Recht auf Naturausbeutung

Diese zeigt Weitsicht auf – und wird dennoch der ökologischen Realität nicht gerecht. Wir sind nicht einfach von der Natur abhängig, sondern in ihre ökologischen Kreisläufe völlig eingebunden. Was wir ihnen antun, kommt unweigerlich auf uns zurück. Es macht daher Sinn, die Natur als Grundbedingung unserer Existenz und Prosperität zu begreifen und somit auch als Grundlage kollektiver und individueller Freiheitsrechte. Genauso wie individuelle Freiheitsausübung nur im Rahmen der gleichen Rechte der Mitmenschen möglich ist, kann sie sich nur im Rahmen der Rechte der natürlichen Mitwelt vollziehen. Die Anerkennung der Rechtssubjektivität der natürlichen Mitwelt ist somit Ausdruck eines Freiheitsbegriffes der die objektive bestehende ökologische Eingebundenheit des Menschen reflektiert. Rechtspraktisch bedeutet dies, daß es fortan kein Recht auf Naturausbeutung mehr gibt, sondern lediglich ein Recht auf ökologisch nachhaltige Nutzung. 

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