Vom Recht auf Natur zu den Rechten der Natur

Internationale Anerkennung der Natur als Rechtssubjekt für die Erhaltung der Biodiversität

von Almudena Abascal, Juristin und Lateinamerikareferentin bei FIAN Deutschland

Im Jahr 2008 war Ecuador das erste Land der Welt, das die Natur in seiner Verfassung als Rechtssubjekt anerkannte und damit eine politische und rechtliche Debatte anstieß, die seither weltweit geführt wird. Seitdem haben auch andere Länder bedeutende gesetzgeberische und rechtswissenschaftliche Fortschritte gemacht, die aufeinem ökozentrischen Ansatz beruhen, bei dem Mensch und Natur auf derselben Ebene stehen. Die internationale Anerkennung der Rechte der Natur kann ein wirksames Mittel sein, um die biologische Vielfalt zu erhalten und damit die Zukunft der Menschheit zu sichern.

Im Dezember 2022 trafen sich in Montreal (Kanada) die 196 Vertragsstaaten des Biodiversitätsabkommen (1993) bei der COP 15 und beschlossen den „Globalen Rahmen für Biodiversität“. Das Rahmenwerk wurdeoptimistisch begrüßt, insbesondere nach der Enttäuschung des Strategischen Plans zum Erhalt der biologischen Vielfalt 2011-2020, bei dem keines der 20 vereinbarten Ziele erreicht wurde.

Das Ziel ist klar und unstrittig: Den drastisch anhaltenden Verlust der biologischen Vielfalt zu stoppen. Der Internationalen Union zur Bewahrung der Natur (International Union for Conservation of the Nature) zufolge sind in den letzten zehn Jahren 160 Arten ausgestorben. Zusätzlich gaben Expert:innen der Vereinten Nationen 2019 bekannt, dass eine Million von schätzungsweise acht Millionen Arten vom Aussterben bedroht sind, von denen viele innerhalb weniger Jahrzehnte aussterben könnten. Die Hauptursachen für die beschleunigte Zerstörung der biologischen Vielfalt, wie etwa Abholzung, Klimawandel und Umweltverschmutzung, sind menschlichen Ursprungs und durch die intensive industrielle Landwirtschaft, die Ausbeutung von Land und natürlichen Ressourcen, ein verschärftes Konsumverhalten und die derzeitigen Ernährungssysteme geprägt. So sind heute 75% der Lebensräume an Landdurchmenschliche Eingriffe stark verändert, 66% der Meeresräume leiden unter verschiedenen schädlichen Einflüssen und über 85% der Feuchtgebiete sind in den letzten 300 Jahren verschwunden.i

Schutz der Natur durch Menschenrechte

Der Schutz der Natur kann nicht von der Achtung der Menschenrechte getrennt betrachtet werden. Die Schaffung der UN Sondermandate für Umwelt 2012 und für Klimaw andel und Menschenrechte 2021, die Anerkennung des Menschenrechts auf eine gesunde Umwelt 2022 sowie das Inkrafttreten des Escazú-Abkommens 2021, des ersten Umweltvertrags in Lateinamerika und der Karibikzum Schutz des Rechts auf eine gesunde Umwelt, sind ein klarer Beweis dafür.

Kurz nach der COP 15 haben drei UN Sonderberichterstatter in einer gemeinsamen Erklärung die Vertragsstaaten des Biodiversitätsabkommens aufgefordert, dafür zu sorgen, dass Maßnahmen zum Schutz der biologischen Vielfalt nicht auf Kosten der Menschenrechte gehen. Nach den Worten der Experten: „Eine gesunde biologische Vielfalt und gesunde Ökosysteme sind die Grundlage des Lebens und die Basis für die Wahrnehmung der Menschenrechte, einschließlich de r Rechte auf Leben, Gesundheit, Nahrung, Wasser, Kultur und eine gesunde Umwelt“.ii Besondere Aufmerksamkeit sollte

den kollektiven Rechten der Indigenen Völker und der Kleinbäuer:innen gewidmet werden. Indigenes Land macht etwa 20 % des Territoriums der Erde aus und beherbergt 80 % der verbleibenden biologischen Vielfalt des Planeten. Die Missachtung der territorialen Rechte Indigener Völker, wie sie in dem Übereinkommen über Indigene Völker der International Labour Organisation (ILOKonvention 196) anerkannt werden, führt zum Verlust von Lebensräumen.

Vom Recht auf Natur zu den Rechten der Natur

Einige Staaten haben sich von einem anthropozentrischen Konzept, wonach die Beziehung zwischen Mensch und Natur auf der Beherrschung und Kontrolle der Natur durch den Menschen beruht, zu einem Ökozentrismus bewegt, der den Menschen als Teil der Natur und nicht als über ihr stehend anerkennt. Im Jahr 2008 verankerte Ecuador als erstes Land der Welt die Rechte der Natur in seiner Verfassung (Art. 71). Damit ist der Zugang zur nationalen Gerichtsbarkeit gewährleistet, was Einzelpersonen, Gruppen und Gemeinschaften ermöglicht, Verletzungen der Natur in ihrem Namen anzuklagen. In Bolivien wurden das Gesetz über die Rechte der Mutter Erde (2010) und das Rahmengesetz über die Mutter Erde und die integrale Entwicklung für ein gutes Leben (2012) verabschiedet, mit denen die Natur formell als Rechtssubjekt anerkannt wird. Das kolumbianische Verfassungsgericht erkannte 2016 den Atrato-Fluss als rechtlich schützenswert an und folgte dabei einem ökozentrischen Ansatz, demzufolge die Erde nicht das Eigentum des Menschen ist, sondernim Gegensatz dazu der Mensch wie jede andere Spezies zur Erde gehört. Diese rechtliche Wandlung hat sich in Staaten vollzogen, deren Rechts – und Sozialsysteme die gegenseitige Beziehung zwischen Mensch, Tier und Natur anerkennen, was oftmals damit in Zusammenhang steht, dass in ihnen Indigene Völker leben. In den oben genannten Fällen in Lateinamerika, aber auch in Neuseeland und Indien sind die Rechte der Natur durch das Rechtswesen anerkannt worden. iii Leider wurden die Fortschritte in Ecuador und Bolivien durch Gesetzgebung und politische Entscheidungen konterkariert, die die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen fördern und damit im Widerspruch zu den proklamierten Rechten der Natur stehen.

In der Europäischen Union (EU) wurde der Übergang vom Recht auf Natur zu den Rechten der Natur noch nicht vollzogen, obwohl die EU eine der strengsten gesetzlichen Regelungen im Bereich des Umweltschutzes hat. Angesichts des besorgniserregenden Zustands der biologischen Vielfalt in Europa, wo sich nach Angaben des EU-Parlaments nur 5 % der Waldlebensräume in einem günstigen Erhaltungszustand befinden, ist es nicht klar, ob dieser anthropozentrische Rechtsrahmen der geeignetste ist. Die Grundkonzeption der Natur „als Eigentum, als Ware, die Dienstleistungen erbringt, was ihre Ausbeutung zu wirtschaftlichen Zwecken legitimiert“iv sollte zugunsten einer „Anerkennung des Eigenwerts der Natur überwunden werden, unabhängig von ihrer Nützlichkeit für den Menschen“v.

Die Debatte weitet sich aus

Diese rechtlichen und legislativen Entwicklungen im nationalen und regionalen Kontext haben die Debatte auf internationaler Ebene eröffnet. Aktuell werden Diskussionen über eine Allgemeine Erklärung der Rechte von Mutter Erde als Ergänzung zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und über die Schaffung eines Internationalen Gerichtshofs für Umweltgerechtigkeit geführt. Die politische Bühne, die weitgehend von der Zivilgesellschaft getragen wird, ist bereitet. Die Schwierigkeiten im technisch-juristischen Bereich sollten mit Bereitschaft und Aufgeschlossenheit überwunden werden können, indem man sich von westlichen Rechtstheorien löst und sich denen des globalen Südens annähert. Um die biologische Vielfalt wirksam zu schützen und damit auch das Überleben des Menschen in der Natur zu sichern, ist die Anerkennung der Rechte der Natur und damit der Natur als Rechtssubjekt erforderlich. Hierzu ist ein tiefgreifender Wandel unserer Wirtschaftsordnung, Entwicklungsmodelle, Bildungswesen, Konsummuster und Ernährungssysteme notwendig, insbesondere inden Ländern des globalen Nordens. Dabei sollten die Menschenrechteund

die Rechte der Natur Vorrang vor wirtschaftlichen und unternehmerischen Interessen haben. Wie der UN Sonderberichterstatter David R. Boyd feststellt, “die Rechte der Natur stehen im Widerspruch zu unbegrenztem Wirtschaftswachstum, Konsumismus, ungebremster Globalisierung oder dem Laissez- faire Kapitalismus”. vi

Almudena Abascal ist Juristin und Lateinamerikareferentin bei FIANDeutschland

Quellen:

i IPBES Bericht, 2020. Das globale Assessment der Biologischen Vielfalt und Ökosystem -Leistungen

ii  https://www.ohchr.org/en/press-releases/2022/12/post-2020-global-biodiversity-framework-urgent-need- protect-nature-and-human

iii http://www.legislation.govt.nz/act/public/2017/0007/latest/whole.html und https://www.nonhumanrights.org/content/uploads/WPPIL-126-14.pdf

iv Borràs Petinant, Susana (2020), “Los derechos de la naturaleza en Europa: Hacia nuevos planteamientos

transformadores de la protección ambiental”

v Boyd, David Richard (2020) “The rights of the Nature. A legal Revolution that could save the world” https://co.boell.org/sites/default/files/2021-04/Derechos%20de%20la%20naturaleza%20Web.pdf

Buchempfehlung: Die Befreiung der Natur – Zum Verhältnis von Natur und Freiheit bei Herbert Marcuse

Man kann aus vielen Gründen zu dem Ergebnis kommen, dass wir unsere Beziehung zur Natur neu denken müssen. Die 117 Seite starke Veröffentlichung “Die Befreiung der Natur – Zum Verhältnis von Natur und Freiheit bei Herbert Marcuse“ liefert dafür spannende Denkanstöße. Sein Autor, Ulrich Rutschig, Chemiker und Philosophie-Professor im Ruhestand (Universität Oldenburg) ist ein ausgewiesener Kenner der Kritischen Theorie.

Anfang der 70er Jahre schrieb Marcuse den Aufsatz „Natur und Revolution“. Es ist ein Plädoyer für die „Befreiung der Natur“ durch die Arbeiterklasse. Marcuse war davon überzeugt, dass die Befreiung des Menschen von den Zumutungen des Kapitalismus nur Hand in Hand mit der Befreiung der Natur einhergehen könne. Denn es liege in der vernünftigen Natur des Menschen, die Natur vor sich selbst zu schützen.

Dass Marcuse sich mit dieser Frage befasste, ist keineswegs selbstverständlich. Schließlich war in den 70er Jahren die Notwendigkeit des Naturschutzes nur bei wenigen „Linken“ ein Thema. Orthodoxe Marxisten hielten viel zu lange die Zerstörung der Natur für eine Art historischen “Nebenwiderspruch“, der sich auflöst, wenn der Hauptwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit Geschichte sein würde. Dieser Ansicht ist Marcuse explizit nicht. [1]

Interessant und aktuell an dieser Veröffentlichung ist, dass Rutschig Marcuses Kritik an Kants Naturverhältnis ausführlich darstellt. Denn viele Verfassungsrechtler berufen sich noch heute auf Kant, um die Vormachtstellung des Menschen über die Natur zu legitimieren und die Forderung nach den Rechten der Natur abzuwehren.

Was wollte Kant?

Für Kant ist Natur ein Objekt und steht daher unbegrenzt und kostenfrei als Mittel für die menschliche Zwecke (Wirtschaft, Selbstverwirklichung) zu Verfügung. Diese Freiheit, die Kant dem Menschen zuschreibt, wird durch die Moralität begrenzt, die dem Menschen eigen ist. Womit die menschliche Fähigkeit gemeint ist, sich selbst Gesetze zu geben und dem moralischen Imperativ zu gehorchen.

Dass nur der vernunftbegabte Mensch Würde besitzt, war bis ins 19. Jahrhundert so selbstverständlich, dass nicht nur Tiere, Pflanzen und die unbelebte Natur als Objekt behandelt werden durften, sondern auch alle Menschen, denen man ihr Menschsein absprach.  Indigenen Völkern, die die falsche (nicht europäische) Nasen- und Schädelform hatten, sprach man lange ihr vollwertiges Menschsein ab. Woraus sich auch ergab, dass sie keine der weißen Rasse vergleichbare Vernunft besitzen konnten, dass andere für sie entscheiden mussten und dass man sie als würdelose Objekt behandelt durfte: In Zoos zeigen, einsperren, sterilisieren, umerziehen, enteignen, entrechten etc.

Unter ihnen auch Japans Ureinwohner, die bis heute darum kämpfen, dass die Gebeine ihrer Vorfahren nicht mehr in Museen aufbewahrt werden, sondern an sie zurückgegeben werden, damit sie an den heiligen Stätten ihrer Vorfahren beerdigt werden können.[2][3]

Marcuse setzt mit seiner Kritik an diesem kantschen Würdebegriff an. Kant geht davon aus, dass Natur und Freiheit einander ausschließen. Da die Natur keinen freien Wille habe, könne sie kein Subjekt sein.

Bedeutet dies auch, dass die Natur keine Würde hat?

Kant verknüpft seinen Würdebegriff mit den Begriffen „Wert an sich“ und Preis[4]. Was einen Preis hat, das kann ersetzt werden, hat keinen Selbstzweck und ist kein Eigenwert. Umgekehrt formuliert könnte man auch sagen: Nur was nicht austauschbar ist, besitzt eine Würde.

Rutschig arbeitet in seinem Buch detailliert heraus, wie Herbert Marcuse Kants Annahmen und Schlussfolgerungen kritisiert und seine Gegenthese, dass die Natur und alle Lebewesen einen “Zweck an sich selbst” “sind, begründet.  

Marcuse anerkannte, dass Moralität in der Autonomie der Vernunft begründet ist und dass Moralität vernünftige Subjekte erfordert. Aber der Mensch – so Marcuse – ist kein reines Vernunftwesen, er ist auch ein Sinnenwesen, ein „Animal (Tier) rationale“ – das auf den Stoffwechsel mit der Natur angewiesen ist. Er ist sich seines Selbst bewusst gewordene Natur. Folglich gebühre nicht nur seinem „Vernunftwesen-sein“  sondern auch seinem „Naturwesen-sein“  Achtung. Zumal er nicht unabhängig von anderen Lebewesen und Arten leben kann, sondern diese seine Voraussetzung waren und sind, seine conditio sine qua non.

Marcuse hält es für moralisch geboten, dass die vernünftige Natur des Menschen die Natur als „Zweck an sich selbst” würdigt, ohne die der Mensch nicht sein kann. Denn die Natur ist seine Voraussetzung, der hinreichende Grund für seine Existenz. Sie ist nicht austauschbar und hat keine materielles äquivalent. Der Mensch hat die Freiheit, dies zu ignorieren. Doch vernünftig ist das nicht.  

Marcuse schrieb diesen Aufsatz Anfang der 70er Jahre, und er konnte folglich nicht wissen, was wir heute wissen.

Seine romantische Vorstellung vom revolutionären Subjekt Arbeiterklasse, das den Kapitalismus abschafft und die Natur befreit, wurde bisher von der Geschichte bisher nicht begründet. Und auch seine Hoffnung, dass es der Mensch die Natur befreit, ist bis heute nur ein frommer Wunsch geblieben.

Die Geschwindigkeit und die Eingriffstiefe mit, der der vernunftbegabte Mensch seit den 70er Jahren die Natur zerstört, lässt eine Befreiung der Natur kommt, wenn diese Übung doch noch eines Tages gelingt, für viele Tiere und Pflanzen zu spät. [5]

Wahrscheinlicher erscheint es inzwischen, dass sich die Natur von der Menschheit (ganz oder teilweise) befreit – es sei denn, der Mensch kommt ihm mit seinen Vernichtungswaffen zuvor, oder ein Virus erledigt das Geschäft. Marcuse hat wohl die realen Machtverhältnisse zwischen Menschen und Natur ebenso falsch eingeschätzt, wie die Machtverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit. 

Das ändert allerdings nichts daran, dass es sich lohnt, sich mit Marcuses Kritik an Kant auseinander zu setzen. Denn nur wenige Philosophen haben dies aus dieser Perspektive getan.


[1] Zumal die Hoffnung auf die Arbeiterklasse als revolutionäres Subjekt enttäuscht wurde. Ist doch die „Arbeiterklasse“ sowohl in den “altindustriellen Ländern” als in den jungen Industrieländern in der internationalen Konsumentenklasse aufgegangen, die ihr Recht auf einen westlichen Lebensstil und die damit verbundene Ausbeutung der Natur ebenso vernunftfrei wie hartnäckig verteidigt.

[2] Was unvoreingenommene Beobachter heute vielleicht als einen Hinweis darauf deuten könnten, dass es mit der Vernunft diese weißen Rasse und derer, die diese verherrlichen nicht sehr weit her sein kann, oder dass es sich um eine ausgesprochen unmenschliche Vernunft handelt, die ihren eigenen Ansprüchen an Menschlichkeit und Vernunft nicht genügt. Denn Kant war kein Unmensch. Für Kant war Vernunft untrennbar mit dem moralischen Imperativ verbunden. Streng genommen könnte man aus dieser logischen Verknüpfung darauf schließen, dass alle Lebewesen, die den moralischen Imperativ nicht verstanden haben und nicht danach leben, keine Menschen sind. Aber was sind sie dann?

[3]Uwe Makino: „Der Schädelforscher errechnet einen Schädelindex aus der Relation von Länge und Breite, man schließt von der Schädelkapazität auf die Hirnentwicklung und damit auf die Kulturfähigkeit und später auf die Position im Evolutionsprozess. Auch der Gesichtswinkel wurde vermessen und ausgedeutet. Grundsätzlich sind Rassenbegriffe, die von permanenten Qualitäten ihrer Träger ausgehen, mehr als rein somatische Beschreibungen, wie wir eben bei Linné gesehen haben: Explizit fließen kulturelle, moralische und ästhetische Wertungen mit ein. Beginnend mit dem Aufklärer Voltaire (1694-1778), der den „Neger“ nicht als Ebenbild Gottes akzeptieren konnte, über die US-amerikanischen Verfechter der Sklaverei als gott- und naturgewollt bis hin zu den Rassisten unserer Tage kann man die Linie ziehen, die da behauptet: „Neger“ haben ein kleines Hirn, ihr Gesichtswinkel ist dem Affen näher als dem Idealbild des antiken Griechen, sie sind zu höherer Kulturleistung nicht fähig und eben „Wilde“, d.h. auch moralisch nicht auf der Höhe einer „Herrenrasse“. Quelle: Uwe Makino, Wem gehören die Ainu-Gebeine? Wozu wurden Schädel- und Gebeinsammlungen angelegt? Ein Blick in die Forschungs- und Ideologiegeschichte; In: OAG Notizen, Tokyo Juni 2018, S. 10 – 37.

[4] Rutschig: „In der dritten Antinomie erläutert Kant den Widerspruch von Kausalität nach Gesetzen der Natur und Kausalität aus Freiheit. Nach Kant hat alles entweder einen Preis oder eine Würde. Was einen Preis hat, an dessen Stelle kann etwas anderes als Äquivalent gesetzt werden. Was hingegen über allen Preis erhaben ist, und mithin kein Äquivalent haben kann, das hat Würde.“

[5] Seit 1970 verschwanden rund 60 Prozent aller Säugetiere, Vögel, Fische und Reptilien von der Erde. Quelle: WWF, „Living Planet Report“ WWF.

Buchempfehlung: Die Befreiung der Natur, Zum Verhältnis von Natur und Freiheit bei Herbert Marcuse, Ulrich Ruschig, ISBN  9783 89438 7419

Buchempfehlung: Das ökologische Grundgesetz von Jens Kersten

von Helmut Scheel, 2. Vorsitzender der ÖDP Deutschland

Warum ein ökologisches Grundgesetz?

Was erwartet man, wenn man ein Buch kauft mit dem Titel „Das ökologische Grundgesetz“? Man rechnet mit Gesetzestexten und der Beantwortung von Fragen. Die erste Frage lautet: Warum ein „ökologisches Grundgesetz“? Die beantwortet Prof. Dr. Jens Kersten gründlich. In seinen Vorüberlegungen benennt er eines der zentralen Probleme unserer Zeit: Die Verfassung der Natur. „Artensterben, Globalvermüllung und Klimakatastrophe führen uns alltäglich vor Augen: Wir brauchen eine ökologische Transformation unserer Gesellschaft.“ Weiter arbeitet er heraus, weshalb das Anthropozän seinen Namen erhalten hat und deshalb die zentralen Probleme unseres Planeten entstanden sind. Selbst die Aufnahme des Umweltschutzes als Staatsziel in Art.20a des Grundgesetztes hat bisher keine wesentliche Verbesserung für unsere Natur gebracht.

Die Welt lässt sich nicht durch Gerichtsbeschlüsse ändern

Für Kersten war das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom März 2021 der erste Lichtblick für einen sich wandelnden Blick der Gerichte auf die Bedeutung dieses Artikels im Grundgesetz. Allerdings ließe sich die Welt nicht durch Gerichtsbeschlüsse retten, sondern man müsste grundsätzlich und damit grundrechtlich die Natur auch juristisch anders betrachten und ihr eine andere Stellung im Grundgesetz einräumen, damit die Probleme und Herausforderungen von heute und der Zukunft angegangen werden können.

Gleichstellung der Natur

Die zentrale Änderung des Grundgesetzes muss aus seiner Sicht die Gleichstellung der Natur sein und damit meint er „die gesamte Tier- und Pflanzenwelt, also Böden, Landschaften, Luft, Klima und Wasser“. Er fordert die Einführung des Status einer „ökologischen Person“ um eine Gleichstellung zu juristischen Personen wie Firmen, Vereine, Stiftungen etc. zu erreichen. Derzeit, so die Ausführungen von Kersten, könne ein Mensch nur dann gegen die Umweltzerstörung oder deren Beschädigung klagen, wenn er selbst oder eine Organisation einen Schaden erlitten hätte. Das passt dazu, dass zum Beispiel Tiere juristisch als Sache, sprich als Objekt betrachtet werden. Wir bräuchten aber den Status eines Subjekts für die Natur, damit auf Augenhöhe juristisch gehandelt und verhandelt werden könne. Derzeit befindet sich die Natur immer nur in der Verteidigungsrolle, wenn Konflikte mit Konzernen verhandelt werden. Erst wenn die Natur zu einem Rechtssubjekt erhoben ist, kann diese von sich aus – vertreten durch Personen, wie bei einer Firma oder einem Verein – selbst Klage einreichen.

Die Grundrechte sollten auch für ökologische und inländische juristische Personen gelten

Der Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaften an der Ludwig-Maximilian Universität in München startet seine sehr gründliche Durcharbeitung und Änderungsvorstellungen des Grundgesetzes gleich mit der Präambel: „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und dem Menschen und für die Natur, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volkkraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.“ Für ihn ist wichtig, bereits in der Präambel die Natur mit aufzuführen, da die Präambel eine Strahlkraft für das gesamte Grundgesetz hat.  In der Folge werden von ihm in vielen Artikeln des Grundgesetzes kleinere Änderungen, meist nur in Form des Einfügens eines ökologischen Begriffes, vorgeschlagen. Allerdings stellt der Artikel 19 des Grundgesetzes einen wesentlichen Artikel im Umbau auf ein ökologisches Grundgesetz dar. Dort soll es in Zukunft heißen: Art.19 GG (3)“Die Grundrechte gelten auch für ökologische und inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.“ Mit dieser Ergänzung erlangt die Natur des Status einer juristischen Person. Damit wird sie anderen juristischen Personen ähnlich gestellt. Damit kann die Natur – vertreten durch Personen – ihre Rechte anders wahrnehmen.

Die Durchleuchtung des Grundgesetzes auf seine Schwächen in Bezug auf die Natur setzt er gründlich fort und lässt auch die Bedeutung der Parlamente und Regierungsmitglieder bis hin zum Bundespräsidenten nicht aus. So würde nach seiner Vorstellung der Minister für Natur sogar ein Widerspruchsrecht bekommen, wenn ein anderes Gesetz zu sehr negativ in die Ökologie eingreifen würde.

Defizite in Sachen Natur- und Umweltschutz

In Summe ist dieses Buch ein ökologischer Ritt durch unser Grundgesetz und zeigt auf, an wie vielen Stellen Defizite in Sachen Natur- und Umweltschutz vorhanden sind. Deutlich wird dabei, wie schlecht die Natur und die ökologischen Themen derzeit in unserem Grundgesetz gestellt sind. Wir brauchen für die Natur einen grundgesetzlichen Status auf Augenhöhe mit all jenen durch das Grundgesetz definierten Personen, damit die Natur vor Gericht Chancengleichheit erhält. Erst dann, so mein Fazit aus dem Buch, wird sich der Umgang, das Bewusstsein und die Beziehung zu unserer Natur, auch juristisch, ändern.

Zu wessen Wohl?

Das Tierwohl-Label verdient seinen Namen nicht und fördert den Hunger in der Welt.

Christine Ax, M.A.

Das Tierwohl-Label, das von Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir für die Schweinehaltung angekündigt wurde, wird von Tierschützern und den Verbraucherschutzverbänden scharf kritisiert.

Verbraucherschützer sind enttäuscht

Die Verbraucherzentrale Bundesverband stellt fest, dass nur die Haltungsformen 3 und 4 überhaupt eine Verbesserung darstellen und dass das Angebot von Fleisch aus solchen Haltungsformen im Handel bisher immer noch „gegen Null“ gehe.

Die Haltungsform 5 (Bio) sei außerdem nicht neu und im Biolandbau spiele das Tierwohl keineswegs immer eine bedeutende Rolle – auch wenn viele Tiere dort –  je nach Anbauverband – artgerechter gehalten werden als in konventionellen Betrieben.

Albert Schweitzer Stiftung “Leid der Tiere wird kaum reduziert”

Die Albert Schweizer Stiftung für Tierschutz zeigt sich schwer enttäuscht über den Vorschlag und fordert alle Tierfreunde auf, einen Appell für mehr echten Tierschutz zu unterschreiben.

Die Stiftung kommentiert das Vorhaben wie folgt: „ Wir begrüßen deshalb, dass die Bundesregierung 2022 eine verbindliche Kennzeichnung einführen will. Das vorgestellte Fünf-Stufen-Konzept lässt jedoch auf eine mangelhafte Umsetzung schließen, die das Leid der Tiere kaum reduzieren wird.  Das Landwirtschaftsministerium orientiert sich auf Drängen der »Initiative Tierwohl«, des Lebensmitteleinzelhandels und der Agrarlobby offenbar an dem problematischen »Haltungsform«-System der großen Supermarktketten. Doch die »Haltungsform«-Kennzeichnung unterscheidet sich in der zweiten Stufe kaum vom gesetzlichen Mindeststandard (Stufe 1) und erlaubt selbst in den höchsten Stufen Qualzucht, Amputationen und besonders tierquälerische Schlachtmethoden. Klar ist: Das Label ist kein Tierschutzkennzeichen. Die Stufen »Stall« und »Stallhaltung Plus« haben außerdem nur einen geringen Aussagewert – dennoch plant die Regierung diese Bezeichnungen zu übernehmen. Transparenz sucht man hier vergeblich. Die zusätzliche Bio-Stufe blendet aus, dass der EU-Bio-Standard nur minimal mehr Tierschutz bedeutet. Das Stufen-Konzept geht vollkommen an den tatsächlichen Bedürfnissen der Tiere vorbei. So wird das Label der Bundesregierung mehr Schein als Sein.“

PETA: Tierschutz-Label ist Greenwashing und ermöglicht Qualzucht und Massentierhaltung

Auf der PETA Website ist daher zu lesen: „Wir von PETA Deutschland lehnen die Haltungskennzeichnung ab, da sie nichts am speziesistischen System der Tierausbeutung ändert. Statt den enormen Arbeitsaufwand in die Entwicklung eines vermeintlichen Tierwohllabels zu investieren, hätte die Bundesregierung die Energie in wirklichen Tierschutz einbringen müssen: Maßnahmen, um den Fleischkonsum drastisch zu verringern. Weniger leidende Tiere durch den schnellen Abbau von Tierbeständen.

Mit dem ab 2023 geplanten Tierwohllabel betreibt die Bundesregierung leider Greenwashing für Konsument:innen, um deren Gewissen zu beruhigen, statt einen realen Unterschied für Millionen von Tieren zu bewirken. Die Botschaft, einfach weiterhin so viel Fleisch zu essen wie bisher, ist aber fatal: Denn die Produktion von Fleisch, Milch und Eiern treibt die Klimakatastrophe mitsamt der Zerstörung unserer Ökosysteme und somit unserer Lebensgrundlage unaufhörlich voran.“

Lisa Kainz, Fachreferentin bei PETA Deutschland e. V. schreibt:  „Die Unterschiede zwischen den Stufen sind für die Tiere zudem so marginal, dass das Wort ‚Tierwohl‘ hier völlig fehl am Platz ist und einer Täuschung der Verbraucherinnen und Verbraucher gleichkommt. Unzählige Recherche-Veröffentlichungen nach der Einführung der Kennzeichnung von Frischeiern haben die furchtbaren Lebensbedingungen von sogenannten Legehennen in Deutschland – auch jenen aus dem Bio-Bereich – enthüllt und gezeigt, dass kein Tier von einem Label profitiert. Wer ernsthaft etwas gegen die Tierquälerei im Agrarsystem tun will, greift zu Produkten mit Vegan-Label.“

Quelle: PETA Deutschland e.V.

Landwirtschaft fordert immer noch “business as usual”

Alles in allem weist derzeit immer noch nichts darauf hin, dass die Landwirtschaft verstanden hat, in welchem Umfang sie die Klimakrise und die Biodiversitätskrise vorantreibt. Die jüngsten Versuche auch die wenigen Flächen, in denen Biodiversität heute schon Vorrang hat in die Getreideproduktion wieder mit einzubeziehen, beweisen, dass die Agrarlobby immer noch das Ziel „business as usual“  verfolgt.

Dies mit dem Verweis auf eine drohende Welternährungskrise und den Ukrainekrieg zu tun – kann man nur als zynisch bezeichnen.

Denn solange nur 20 % der Erträge, die in Deutschland erzeugt werden, überhaupt für die Ernährung von Menschen verwendet werden und die anderen 80 % in Biosprit verwandelt werden, als Futtermittel verwendet oder schlichtweg weggeworfen werden, ist ein solcher Vorschlag ein weiterer Anschlag auf die Lebenschancen künftiger Generationen.

Rechte der Natur machen einen Unterschied

Umso wichtiger ist es, dass die Eigenrechte der Natur realisiert werden und Grundrechte auch für Tiere gelten.

Dass 1,5 Quadratmeter Lebensraum in der Massentierhaltung von einem Schwein als wohltuend empfunden wird, ist ausgeschlossen. Massentierhaltung ist ein unethischer Machtmissbrauch des Menschen über diese intelligenten und empfindsamen Mit-Lebewesen, die unser ganzes Mitgefühl verdient haben.

Das Tierwohl-Label dient vor allem dem Wohl der Tierzucht-Industrie, der industriellen Landwirtschaft und des Handels und es verdient seinen Namen nicht.  Da es die klimazerstörende Massentierhaltung legitimiert ist es nicht nur eine Art staatlich befördertes Greenwashing sondern außerdem auch noch weit schlimmer als das: Diese Art von Fleischproduktion ist auch ein Todesurteil für eine wachsende Zahl von hungernden Menschen weltweit. Fleischproduktion tötet.

Das Urteil über Los Cedros

Eine Analyse von Viviana Morales Naranjo

Viviane Morales

Das Verfassungsurteil Nr. 1149-19-JP/21 (10. November 2021) analysiert die “Auswahl und die Begründungen” der Bergbaugenehmigung im Schutzwald “Los Cedros” (in Imbabura-Ecuador). Das ecuadorianische Verfassungsgericht konkretisiert mit diesem Urteil die Bedeutung der Rechte der Natur. Zu den wichtigsten Aspekten dieses Urteils gehört die Feststellung, dass die Präambel der Verfassung betont, dass die Natur, Pachamama, “für unsere Existenz lebenswichtig ist”.

Mit Blick auf die Präambel stellt das Gericht fest, dass die Existenz des Menschen untrennbar mit der Existenz der Natur verbunden ist, da er selber Teil der Natur ist (“Pachamama”): Daher umfassen die Rechte der Natur notwendigerweise auch das Existenzrecht der Menschheit als Gattung. Dies ist keine rhetorische Lyrik, sondern eine transzendente Beobachtung und eine historische Verpflichtung, die nach der Präambel der Verfassung “eine neue Form des Zusammenlebens der Bürger in Vielfalt und Harmonie mit der Natur” fordert.

Darüber hinaus beschäftigt sich das Verfassungsgericht mit den Implikationen des ethischen Postulats, des “Eigenwertes” der Natur. Für das Verfassungsgericht handelt es sich dabei um eine systemische Perspektive, die natürliche Prozesse um ihres Eigenwertes willen schützt. So werden ein Fluss, ein Wald oder andere Ökosysteme als Lebenssysteme betrachtet, deren Existenz und biologische Prozesse den größtmöglichen rechtlichen Schutz verdienen, den eine Verfassung gewähren kann: die Anerkennung angeborener subjektiver Rechte.

Weiterlesen