Vom Recht auf Natur zu den Rechten der Natur

Internationale Anerkennung der Natur als Rechtssubjekt für die Erhaltung der Biodiversität

von Almudena Abascal, Juristin und Lateinamerikareferentin bei FIAN Deutschland

Im Jahr 2008 war Ecuador das erste Land der Welt, das die Natur in seiner Verfassung als Rechtssubjekt anerkannte und damit eine politische und rechtliche Debatte anstieß, die seither weltweit geführt wird. Seitdem haben auch andere Länder bedeutende gesetzgeberische und rechtswissenschaftliche Fortschritte gemacht, die aufeinem ökozentrischen Ansatz beruhen, bei dem Mensch und Natur auf derselben Ebene stehen. Die internationale Anerkennung der Rechte der Natur kann ein wirksames Mittel sein, um die biologische Vielfalt zu erhalten und damit die Zukunft der Menschheit zu sichern.

Im Dezember 2022 trafen sich in Montreal (Kanada) die 196 Vertragsstaaten des Biodiversitätsabkommen (1993) bei der COP 15 und beschlossen den „Globalen Rahmen für Biodiversität“. Das Rahmenwerk wurdeoptimistisch begrüßt, insbesondere nach der Enttäuschung des Strategischen Plans zum Erhalt der biologischen Vielfalt 2011-2020, bei dem keines der 20 vereinbarten Ziele erreicht wurde.

Das Ziel ist klar und unstrittig: Den drastisch anhaltenden Verlust der biologischen Vielfalt zu stoppen. Der Internationalen Union zur Bewahrung der Natur (International Union for Conservation of the Nature) zufolge sind in den letzten zehn Jahren 160 Arten ausgestorben. Zusätzlich gaben Expert:innen der Vereinten Nationen 2019 bekannt, dass eine Million von schätzungsweise acht Millionen Arten vom Aussterben bedroht sind, von denen viele innerhalb weniger Jahrzehnte aussterben könnten. Die Hauptursachen für die beschleunigte Zerstörung der biologischen Vielfalt, wie etwa Abholzung, Klimawandel und Umweltverschmutzung, sind menschlichen Ursprungs und durch die intensive industrielle Landwirtschaft, die Ausbeutung von Land und natürlichen Ressourcen, ein verschärftes Konsumverhalten und die derzeitigen Ernährungssysteme geprägt. So sind heute 75% der Lebensräume an Landdurchmenschliche Eingriffe stark verändert, 66% der Meeresräume leiden unter verschiedenen schädlichen Einflüssen und über 85% der Feuchtgebiete sind in den letzten 300 Jahren verschwunden.i

Schutz der Natur durch Menschenrechte

Der Schutz der Natur kann nicht von der Achtung der Menschenrechte getrennt betrachtet werden. Die Schaffung der UN Sondermandate für Umwelt 2012 und für Klimaw andel und Menschenrechte 2021, die Anerkennung des Menschenrechts auf eine gesunde Umwelt 2022 sowie das Inkrafttreten des Escazú-Abkommens 2021, des ersten Umweltvertrags in Lateinamerika und der Karibikzum Schutz des Rechts auf eine gesunde Umwelt, sind ein klarer Beweis dafür.

Kurz nach der COP 15 haben drei UN Sonderberichterstatter in einer gemeinsamen Erklärung die Vertragsstaaten des Biodiversitätsabkommens aufgefordert, dafür zu sorgen, dass Maßnahmen zum Schutz der biologischen Vielfalt nicht auf Kosten der Menschenrechte gehen. Nach den Worten der Experten: „Eine gesunde biologische Vielfalt und gesunde Ökosysteme sind die Grundlage des Lebens und die Basis für die Wahrnehmung der Menschenrechte, einschließlich de r Rechte auf Leben, Gesundheit, Nahrung, Wasser, Kultur und eine gesunde Umwelt“.ii Besondere Aufmerksamkeit sollte

den kollektiven Rechten der Indigenen Völker und der Kleinbäuer:innen gewidmet werden. Indigenes Land macht etwa 20 % des Territoriums der Erde aus und beherbergt 80 % der verbleibenden biologischen Vielfalt des Planeten. Die Missachtung der territorialen Rechte Indigener Völker, wie sie in dem Übereinkommen über Indigene Völker der International Labour Organisation (ILOKonvention 196) anerkannt werden, führt zum Verlust von Lebensräumen.

Vom Recht auf Natur zu den Rechten der Natur

Einige Staaten haben sich von einem anthropozentrischen Konzept, wonach die Beziehung zwischen Mensch und Natur auf der Beherrschung und Kontrolle der Natur durch den Menschen beruht, zu einem Ökozentrismus bewegt, der den Menschen als Teil der Natur und nicht als über ihr stehend anerkennt. Im Jahr 2008 verankerte Ecuador als erstes Land der Welt die Rechte der Natur in seiner Verfassung (Art. 71). Damit ist der Zugang zur nationalen Gerichtsbarkeit gewährleistet, was Einzelpersonen, Gruppen und Gemeinschaften ermöglicht, Verletzungen der Natur in ihrem Namen anzuklagen. In Bolivien wurden das Gesetz über die Rechte der Mutter Erde (2010) und das Rahmengesetz über die Mutter Erde und die integrale Entwicklung für ein gutes Leben (2012) verabschiedet, mit denen die Natur formell als Rechtssubjekt anerkannt wird. Das kolumbianische Verfassungsgericht erkannte 2016 den Atrato-Fluss als rechtlich schützenswert an und folgte dabei einem ökozentrischen Ansatz, demzufolge die Erde nicht das Eigentum des Menschen ist, sondernim Gegensatz dazu der Mensch wie jede andere Spezies zur Erde gehört. Diese rechtliche Wandlung hat sich in Staaten vollzogen, deren Rechts – und Sozialsysteme die gegenseitige Beziehung zwischen Mensch, Tier und Natur anerkennen, was oftmals damit in Zusammenhang steht, dass in ihnen Indigene Völker leben. In den oben genannten Fällen in Lateinamerika, aber auch in Neuseeland und Indien sind die Rechte der Natur durch das Rechtswesen anerkannt worden. iii Leider wurden die Fortschritte in Ecuador und Bolivien durch Gesetzgebung und politische Entscheidungen konterkariert, die die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen fördern und damit im Widerspruch zu den proklamierten Rechten der Natur stehen.

In der Europäischen Union (EU) wurde der Übergang vom Recht auf Natur zu den Rechten der Natur noch nicht vollzogen, obwohl die EU eine der strengsten gesetzlichen Regelungen im Bereich des Umweltschutzes hat. Angesichts des besorgniserregenden Zustands der biologischen Vielfalt in Europa, wo sich nach Angaben des EU-Parlaments nur 5 % der Waldlebensräume in einem günstigen Erhaltungszustand befinden, ist es nicht klar, ob dieser anthropozentrische Rechtsrahmen der geeignetste ist. Die Grundkonzeption der Natur „als Eigentum, als Ware, die Dienstleistungen erbringt, was ihre Ausbeutung zu wirtschaftlichen Zwecken legitimiert“iv sollte zugunsten einer „Anerkennung des Eigenwerts der Natur überwunden werden, unabhängig von ihrer Nützlichkeit für den Menschen“v.

Die Debatte weitet sich aus

Diese rechtlichen und legislativen Entwicklungen im nationalen und regionalen Kontext haben die Debatte auf internationaler Ebene eröffnet. Aktuell werden Diskussionen über eine Allgemeine Erklärung der Rechte von Mutter Erde als Ergänzung zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und über die Schaffung eines Internationalen Gerichtshofs für Umweltgerechtigkeit geführt. Die politische Bühne, die weitgehend von der Zivilgesellschaft getragen wird, ist bereitet. Die Schwierigkeiten im technisch-juristischen Bereich sollten mit Bereitschaft und Aufgeschlossenheit überwunden werden können, indem man sich von westlichen Rechtstheorien löst und sich denen des globalen Südens annähert. Um die biologische Vielfalt wirksam zu schützen und damit auch das Überleben des Menschen in der Natur zu sichern, ist die Anerkennung der Rechte der Natur und damit der Natur als Rechtssubjekt erforderlich. Hierzu ist ein tiefgreifender Wandel unserer Wirtschaftsordnung, Entwicklungsmodelle, Bildungswesen, Konsummuster und Ernährungssysteme notwendig, insbesondere inden Ländern des globalen Nordens. Dabei sollten die Menschenrechteund

die Rechte der Natur Vorrang vor wirtschaftlichen und unternehmerischen Interessen haben. Wie der UN Sonderberichterstatter David R. Boyd feststellt, “die Rechte der Natur stehen im Widerspruch zu unbegrenztem Wirtschaftswachstum, Konsumismus, ungebremster Globalisierung oder dem Laissez- faire Kapitalismus”. vi

Almudena Abascal ist Juristin und Lateinamerikareferentin bei FIANDeutschland

Quellen:

i IPBES Bericht, 2020. Das globale Assessment der Biologischen Vielfalt und Ökosystem -Leistungen

ii  https://www.ohchr.org/en/press-releases/2022/12/post-2020-global-biodiversity-framework-urgent-need- protect-nature-and-human

iii http://www.legislation.govt.nz/act/public/2017/0007/latest/whole.html und https://www.nonhumanrights.org/content/uploads/WPPIL-126-14.pdf

iv Borràs Petinant, Susana (2020), “Los derechos de la naturaleza en Europa: Hacia nuevos planteamientos

transformadores de la protección ambiental”

v Boyd, David Richard (2020) “The rights of the Nature. A legal Revolution that could save the world” https://co.boell.org/sites/default/files/2021-04/Derechos%20de%20la%20naturaleza%20Web.pdf

Autoren

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert