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Naturschutz ist keine rückwärtsgewandte Romantik sondern angewandter Menschenschutz

Christine Ax, Netzwerk Rechte der Natur e.V.

Hintergrund dieses Beitrages ist die Ablehnung der Verordnung des Europäischen Parlamentes und des Rates zur Wiederherstellung der Natur (COM/2022/304) im EU-Umweltausschuss durch die EVP und ihre Verbündeten. Die Argumente, mit denen die EVP gegen die EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur kämpft, ist ein verantwortungsloser Angriff auf die Lebensgrundlagen aller Europäerinnen. Denn die Verordnung ist eine reale Chance, die dramatische Naturzerstörung der letzten Jahrzehnte zu reparieren und die natürlichen Grundlagen unserer Existenz und Ernährung auf eine sichere Grundlage zu stellen. Naturschutz hat nichts mit rückwärtsgewandter Romantik zu tun. Mehr Naturschutz führt keineswegs zu Hungersnöten, sondern schützt uns alle davor, sichert Zukunft und ist Grundlage für ein gutes und gesundes Leben.“

Die Argumente, mit denen sich der EU-Abgeordnete Liese (CDU) im Deutschlandfunk am 27. Juni im Zusammenhang gegen die Richtlinie kämpft, sind abenteuerlich, unbegründet und ein Versuch, uns alle in die Irre zu führen. Liese brachte die geplanten Naturschutzmaßnahmen in Verbindung mit „rückwärtsgewandter Romantik“, widersprach nicht der Behauptung, dass die Verordnung weltweit Hungerkrisen verursachen würde und erweckte den Eindruck, es gäbe bereits genug oder vielleicht sogar bereits zu viel Naturschutz. Dabei wurde auch offensichtlich, dass es ihm einzig und allein um die Interessen des Teils der Landwirtschaft geht, der Landwirtschaft industriell betreibt.

Richtig ist aber: Hintergrund dieser Verordnung ist ein von Wissenschaft und Politik nahezu einvernehmlich festgestelltes Versagen der Umwelt- und Naturschutzpolitik der letzten Jahrzehnte. Die Kommission begründet ihren Vorschlag mit der Feststellung, dass trotz der Bemühungen der EU und internationaler Gremien der Biodiversitätsverlust und die Schädigung der Ökosysteme in besorgniserregendem Tempo immer weiter fortschreiten. Und die Kommission stellt weiterhin fest, dass dieses Naturschutzversagen Mensch, Wirtschaft und Klima gefährdet: Denn „gesunde Ökosysteme bieten Nahrungsmittel und Ernährungssicherheit, sauberes Wasser sowie CO2-Senken und schützen vor mit dem Klimawandel einhergehenden Naturkatastrophen. Sie sind für unser langfristiges Überleben, unser Wohlergehen, unseren Wohlstand und unsere Sicherheit von entscheidender Bedeutung, da sie die Grundlage für die Widerstandsfähigkeit Europas bilden.“ 

Um die Klima- und Biodiversitätsziele der Union für 2030 und 2050 zu erreichen und die Widerstandsfähigkeit der Lebensmittelsysteme zu gewährleisten, hält die EU-Kommission entschlossenere Maßnahmen erforderlich. Um die bereits zerstörte Natur wiederherzustellen, schlägt sie vor, dass bis 2030 knapp ein Drittel aller europäischen Ökosysteme, die in keinem guten Zustand sind, wieder in einen guten Zustand versetzt werden müssen. Bis 2040 sollen mindestens 60 % und bis 2050 sollen mindestens 90 % aller Flächen, die in keinem guten Zustand sind, so wiederhergestellt werden, dass sie in einem guten Zustand sind und bleiben. Unter gutem Zustand versteht die Kommission einen Zustand, in dem ein Ökosystem das Maß an ökologischer Integrität, Stabilität und Widerstandsfähigkeit aufweist, das für die Existenz und das Überleben als Ökosystem erforderlich ist.

Das Netzwerk Rechte der Natur unterstützt ausdrücklich die Ziele dieser Richtlinie und würde es sehr begrüßen, wenn auch der nächste logische Schritt gegangen würde, indem der Natur ein Recht auf Wiederherstellung, Leben und Entwicklung zugestanden wird. Ein Rechtsanspruch auf Leben für die Natur kann verhindern, dass bei der Abwägung von Nutzungsinteressen und Erfordernissen des Naturschutzes, der Schutz der Natur  regelmäßig unterliegt. Dass diese Forderung keine Utopie ist, dafür gibt es immer mehr Belege. So hat die Festschreibung der Rechte der Natur in der Verfassung Ecuadors bewirkt, dass wichtige Teile des Ecuadorianischen Regenwaldes vor ihrer Zerstörung bewahrt werden konnten. Sowohl das Urteil zu Los Cedros als auch das Urteil zum Intag-Regenwald sind dafür gute Beispiele. In Spanien wurde dem Mar Menor jüngst ein Recht auf Leben zugestanden. Weltweit wächst die Zahl erfolgreicher Initiativen, die ihre Hoffnungen auf ein gute Zukunft mit dem Recht auf Leben der Natur verknüpfen.

Dass wir uns heute in einer für die menschliche Existenz bedrohliche und sich gegenseitig verstärkende „Doppelkrise“ befinden (Klimawandel und Biodiversitätsverlust), ist Folge eines Denkens und einer Gesetzgebung, für die die Natur ein Objekt ist, das bis zur Zerstörung benutzt, degradiert und ausgebeutet werden darf. Dies hat dazu geführt, dass der Artenschwund nicht gestoppt wurde, sondern immer schneller voranschreitet, die Wasserversorgung in Gefahr ist, Böden erodieren und austrocknen, Fließgewässer verschmutzt werden und in Folge des Klimawandels versiegen. Selbst die Weltmeere sind inzwischen als Ökosysteme gefährdet.

Naturschutz oder die Forderung nach den Rechten der Natur sind vor diesem Hintergrund das Gegenteil von rückwärtsgewandter Romantik. Sie sind zukunftszugewandter Menschenschutz. Nicht die Natur braucht uns. Wir brauchen die Natur. Wir sind Natur. Und ohne Natur sind wir nicht.

Nicht die Forderung nach dem Schutz der Natur und ihrem Recht auf Leben ist utopisch. Utopisch ist es, anzunehmen, dass wir auch nur einen Tag so weiter machen können, wie bisher. Wer die Natur und ihr Recht auf Wiederherstellung und Leben schützt, schützt den Menschen und sichert seine Zukunft und damit auch die der Landwirtschaft. 

Mit der Denunzierung des Naturschutzes als etwas romantisch Rückwärtsgewandtes betreibt Herr Liese ein gefährliches Spiel und er stärkt damit die Kräfte in unserer Gesellschaft, die sich gegen den notwendigen Wandel und die Transformation unserer Wirtschaft und Gesellschaft stellen.


Autor

  • Christine Ax

    Christine Ax, ist Wissenschaftlerin und Autorin zahlreicher Bücher und Artikel, die sich mit Nachhaltigkeit beschäftigen und Lösungen aufzeigen, wie wir Wirtschaft und Gesellschaft nachhaltig gestalten können.

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